Bergpark-Juwelen und Wilhelmshöher Allee als Nationale Projekte der Städtebauförderung in Kassel. Ein Beitrag von Prof. Dr. Gerd Weiß
Am 23. Juni 2013 wurde der Bergpark Wilhelmshöhe in die UNESCO-Welterbeliste aufgenommen. Der Jubel in Kassel war groß, aber zugleich immer verbunden mit der Frage, ob mit der Aufnahme auch eine finanzielle Unterstützung für Unterhaltungsmaßnahmen verbunden sei. Vier Jahre zuvor hatte das Bundesbauministerium ein Programm zur Förderung der deutschen Welterbestätten aufgelegt (»Investitionen in nationale UNESCO-Welterbestätten«), von dem Kassel – weil noch nicht Welterbe – nicht profitieren konnte. Zu den zwei Projektaufrufen 2009 und 2010 waren über 600 Förderanträge eingegangen, von denen 94 mit einer Fördersumme von rund 70 Millionen bewilligt werden konnten.
Aufgrund der großen Zustimmung und der überzahlreich eingegangenen Anträge erlebte das Programm eine Neuauflage 2014 als »Nationale Projekte des Städtebaus«.
Die sieben bewilligten Maßnahmen
1. Sicherung und Instandsetzung der Kaskaden mit seitlichen Treppen und Brüstungen (1.350.000 Euro)
2. Sicherung und Instandsetzung des Neptunbassins (3.780.000 Euro)
3. Voruntersuchung Neuer Wasserfall (475.000 Euro)
4. Sicherung und Instandsetzung von Teufelsbrücke mit Wasserfall, Höllenteich und Kaskaden (810.000 Euro)
5. Instandsetzung des Mulanggebäudes Nr. 8 (1.525.000 Euro)
6. Instandsetzung des Mulanggebäudes Nr. 5 (1.135.000 Euro)
7. Maßnahmen zur Sicherung und Instandsetzung von Wasserkünsten am Lac (925.000 Euro)
Maßnahmen im Bergpark
Nach dem ersten Projektaufruf 2014 gingen ca. 270 Anträge mit einem beantragten Fördervolumen von rund 900 Millionen Euro ein. Eine vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB) eingesetzte Jury hatte über diese Anträge zu entscheiden: 50 Millionen Euro wurden auf 21 Projekte verteilt.
Für den Bergpark Wilhelmshöhe wurde kurz vor Weihnachten 2014 bekannt, dass im Rahmen des Bundesprogramms »Nationale Projekte des Städtebaus« Bundesmittel in Höhe von 3 Millionen Euro bewilligt wurden. Diese Mittel stehen mit den Komplementärmitteln des Landes in Höhe von 6 Millionen Euro bis Ende 2018 für sieben Teilmaßnahmen zur Verfügung. Mit diesem nationalen Förderprogramm werden Kommunen in die Lage versetzt, herausragende Projekte des Städtebaus mit besonderer nationaler Wahrnehmbarkeit und hoher Qualität umzusetzen, gleich, ob es sich um kommunale, private oder – wie im Falle des Bergparks – landeseigene Vorhaben handelt.
Am 3. Juli 2015 hat die Stadt Kassel den Förderbescheid des Landes Hessen über Mittel zur Sicherung und Instandsetzung historischer Architekturen im UNESCO-Welterbe Bergpark Wilhelmshöhe bei einem feierlichen Akt am Neptunbassin im Bergpark Wilhelmshöhe übergeben bekommen.
Die Maßnahmen 1, 2, 4 und 7 dienen der Sicherung und Instandsetzung von Wasserkünsten, die zum Kern der Welterbeanmeldung gehören. Diese wurden um 1700 begonnen und haben ihren gestalterischen Abschluss Mitte des 19. Jahrhunderts gefunden. Seit ihrer Errichtung funktionieren sie nach den ursprünglichen Prinzipien und in großen Teilen mit den bauzeitlich erhaltenen technischen Einrichtungen.
Durch ihre Lage am Hang, die verwendeten Materialien, die dauerhafte Einwirkung der Witterung sowie die Kraft des fließenden Wassers sind sie einer permanenten Gefährdung ausgesetzt. Insbesondere der durch Undichtigkeiten auftretende große Wasserverlust muss behoben werden. Um ihre Funktion aufrechtzuerhalten und keine unvertretbaren Verluste originaler Substanz zu riskieren, ist eine umfassende denkmalgerechte Instandsetzung erforderlich.
Die bald beginnenden Bauarbeiten werden sowohl Einfluss auf die Besucherführung als auch auf den Lauf des Wassers haben. Während in diesem Jahr die nördlichen Wasserläufe (von unten gesehen rechts) und ab September die Neptungrotte instand gesetzt werden, wird nur die südliche Treppe (von unten gesehen links) geöffnet sein. Im nächsten Jahr wandern die Bauarbeiten und der offene Durchgang auf die jeweils andere Seite. Die weiteren Instandsetzungsarbeiten im Bergpark haben auf die Wasserkünste keinen Einfluss. In der ersten Jahreshälfte 2017 ist mit Einschränkungen der Wasserspiele zu rechnen. Aufgrund von Baumaßnahmen an den Kaskaden wird es in dieser Zeit keine barocken Wasserkünste geben. Ab dem Steinhöfer Wasserfall sind die Wasserkünste wie gewohnt zu sehen. Es ist zu erwarten, dass die umfangreichen Bauarbeiten an den barocken Wasserkünsten sich bis einschließlich Wasserspielsaison 2018 hinziehen werden.
Die Maßnahme 3 dient einer umfassenden Voruntersuchung, um eines der größten Wasserbauwerke im Bergpark, den möglicherweise nach dem Vorbild der Niagarafälle geschaffenen Neuen Wasserfall, fachgerecht sichern und eventuell wieder in Betrieb nehmen zu können. Über dieses Bauwerk sind wenig fundierte Kenntnisse vorhanden. Sein Zustand ist sehr schadhaft. Bereits im 19. Jahrhundert musste aufgrund mangelhafter Fundamentierung die Anlage teilweise neu aufgebaut werden. Durch entsprechende Voruntersuchung soll geklärt werden, welche konkreten Baumaßnahmen ergriffen werden müssen und ob das unter Fachleuten ebenso wie in der Öffentlichkeit gewünschte Ziel einer Wiederinbetriebnahme überhaupt realistisch sein kann.
Die Maßnahmen 5 und 6 sind erforderlich, um zwei wichtige Gebäude des ehemaligen chinesischen Dorfes Mulang grundlegend instand zu setzen. Diese im Zuge der Chinamode des 18. Jahrhunderts innerhalb des Bergparks angelegte dörfliche Siedlung bildet ein unvergleichliches Ensemble, das sich in dieser Reinheit in kaum einem anderen historischen Garten erhalten hat. Ursprünglich als Kuh- und Schafstall errichtet, dienen beide Gebäude seit dem 19. Jahrhundert als Wohngebäude. Dadurch wurde der historische Bestand teilweise überformt.
Das Ziel beider Maßnahmen ist es, eine Vereinbarkeit von Sicherung und teilweiser Wiederherstellung einer einfachen, in ihrer Qualität dabei aber sehr hochwertigen historischen Architektur zu erreichen und gleichzeitig eine Wohnnutzung zu ermöglichen, die diesem denkmalpflegerischen Anspruch gerecht wird und trotzdem alle heutigen Bedürfnisse an ein Wohngebäude möglichst weitgehend erfüllt.
Die 2015 für den Bergpark bewilligten Mittel stehen insgesamt also für Maßnahmen zur Verfügung, mit denen ein hochwertig gesicherter Zustand des Bergparks erreicht wird, von dem aus mit einer kontinuierlichen Bauunterhaltung zukünftig mit deutlich geringerem Mitteleinsatz gearbeitet werden kann. Die Intervalle zwischen großen Instandsetzungsmaßnahmen sollen dann deutlich vergrößert werden. Dies ist nicht nur aus wirtschaftlichen Gründen wichtig. Die kontinuierliche Bauunterhaltung ist auch für die historische Bausubstanz wesentlich schonender. Sie kann aber nur auf einer soliden Basis aufbauen, die nach einem zu geringen Mitteleinsatz seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert verloren gegangen ist und nun erst wieder hergestellt werden muss. Spätestens zu diesem Zeitpunkt stellt sich für den Leser die Frage, was diese Maßnahmen mit der städtebaulichen Ausrichtung des Bundesprogramms zu tun haben. Denn zunächst einmal wurde mit der Anerkennung des Bergparks Wilhelmshöhe als UNESCO-Welterbe im Jahr 2013 seine außerordentliche Bedeutung als Gartendenkmal bestätigt. Zwar ist das gesamte Areal im Eigentum des Landes Hessen. Dennoch wurde die Vorbereitung der Anmeldung zum Welterbe unter intensiver Beteiligung der Stadt Kassel durchgeführt. Darin drückt sich aus, wie bedeutsam der Bergpark Wilhelmshöhe für das gesamte Stadtbild ist. Der Bergpark besitzt für die Stadt eine herausragende städtebauliche, touristische und identitätsstiftende Bedeutung.
Die Stadtentwicklung hat sich spätestens seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts ganz auf den am Westhang des Kasseler Beckens gelegenen Bergpark ausgerichtet. Zahlreiche Sichtachsen vom Park in die Stadt und mehr noch von der Stadt in Richtung des Bergparks, die nachweislich bewusst angelegt wurden, belegen dies. Über Bergpark und Stadt liegt förmlich ein feines Netz aus Sichten und Blickbeziehungen. Der Bergpark Wilhelmshöhe ist auch Teil des Kurbezirks Bad Wilhelmshöhe der Stadt Kassel mit zahlreichen Gesundheitseinrichtungen. Er ist ein nicht weg zu denkender Naherholungsbereich. Dies und die überragende touristische Bedeutung, welche der historische Garten für die Stadt hat, unterstreichen die Wichtigkeit, ein insgesamt hochwertiges Erscheinungsbild zu gewährleisten. Durch die Welterbeanerkennung sind die Erwartungen der Öffentlichkeit noch einmal deutlich angestiegen.
Die regelmäßig in der Sommersaison zweimal wöchentlich durchgeführten historischen Wasserkünste sind zweifellos die größte Attraktion der Stadt. Sie werden an jedem Termin von mehreren Tausend Besucherinnen und Besuchern wahrgenommen. Ihre Funktionsfähigkeit sicherzustellen ist dementsprechend eine außerordentlich wichtige Aufgabe. Zahlreiche Maßnahmen der vergangenen Jahre haben dieses Ziel verfolgt, da an einigen Stellen der Zustand der Wasserwege so schlecht geworden war, dass eine Einstellung des Betriebs erforderlich geworden wäre, wenn keine Arbeiten durchgeführt worden wären.
Wilhemshöher Allee
Der städtebauliche Bezug zwischen Bergpark und Stadt wird wohl am deutlichsten durch die linear auf den Herkules zuführende prägnanteste Sichtachse, die Wilhelmshöher Allee, die damit zugleich die direkte Verbindung zwischen der Innenstadt und dem Welterbe Bergpark Wilhelmshöhe darstellt. Die Aufwertung ihres öffentlichen Raumes und die damit einhergehende Umgestaltung ist Ziel eines zweiten Projektes, das als Premiumprojekt des Bundesprogramms »Nationale Projekte des Städtebaus« ebenfalls in die Förderung aufgenommen wurde.
Als eines von bundesweit 46 herausragenden Projekten des Bundesprogramms »Nationale Projekte des Städtebaus« wurde im Januar 2016 in Berlin die Umgestaltung der Wilhelmshöher Allee ausgezeichnet. Bundesministerin Dr. Barbara Hendricks übergab die Förderurkunde an Kassels Oberbürgermeister Bertram Hilgen. Das Umweltbundesministerium stellt 1,9 Millionen Euro zur Verfügung, 200.000 Euro der Umbaukosten trägt die Stadt Kassel.Zum Verständnis der Bedeutung dieses Projektes ist es hilfreich, einen Blick zurück zu werfen auf die Entstehungsgeschichte der Wilhelmshöher Allee. Die Planung von Landgraf Karl griff weit in die Landschaft aus und sah eine axiale Ausweitung Richtung Stadt bis weit hinter den heutigen Bahnhof Wilhelmshöhe vor.
Das Verhältnis zwischen dem Landsitz, der das ehemalige Jagdschloss Weißenstein war, und der Residenzstadt Kassel war über lange Zeit ein Nebeneinander und wenig aufeinander bezogen. So war die Verbindung zwischen Stadt und Bergpark zunächst eine ländliche, unbefestigte und über die Dörfer Wehlheiden und Wahlershausen führende Landstraße. Der Stadt-Land-Gegensatz wird noch in den Plänen des 19. Jahrhunderts sehr deutlich.
Erst 1767/68 ließ Landgraf Friedrich II. die Weißensteiner Allee, die spätere Wilhelmshöher Allee, anlegen. Die 20 Meter breite Achse griff die ursprüngliche Idee von Landgraf Karl einer vom Herkules über die barocken Wasserkünste und das Schloss weit in die Landschaft hineinreichenden axialen Beziehung auf. Dabei war die Stadt zwar gedacht, aber noch nicht der tatsächliche Zielpunkt. Ausgangspunkt der Anlage war das Herkules-Monument und die darauf bezogene barocke Achse. In dem neuen Bezugspunkt, der Residenzstadt, wurde auch ein politischer Anspruch des Landgrafen deutlich. Zugleich beinhaltet die Ausrichtung auf die Stadt das Versprechen eines Wachstums der Stadt aufgrund der wirtschaftlichen Stärke der Landgrafschaft. Allerdings endet die Alle relativ unvermittelt am heutigen Rathenauplatz, der Einmündung der Landstraße von Wehlheiden nach Kassel.
Erst etwa zehn Jahre später wird die Allee an den Stadtrand herangeführt und mit der von der Stadt ausgehenden neuen Magistrale, der Königsstraße, verbunden. Die Ausstrahlung des mit politischem Anspruch besetzten Herkules in die Landschaft bezieht damit auch den Stadtraum ein und gibt der barocken Anlage des Bergparks seinen direkten Bezugspunkt. An der »Nahtstelle« zwischen »Herrschaftsallee« und Stadt entsteht ein Platz, der heutige Brüder-Grimm-Platz, der die axiale Ausrichtung umlenkt und mit der bestehenden Königsstraße in den Stadtraum führt. Eine architektonisch-städtebauliche Fassung erhält der Treffpunkt der beiden für die weitere Entwicklung Kassels wichtigsten Straßen aber erst Anfang des 19. Jahrhunderts (1805/06) mit den beiden Torbauten als Flügelbauten und der Planung eines nicht realisierten monumentalen Triumphbogens. Für seine Verwirklichung war es wohl zu spät. In Zeiten der sich rührenden demokratischen Bestrebungen war eine solche triumphale Geste für den in seine Residenzstadt einziehenden Herrscher überholt. Auch in anderen Residenzen kennen wir die bewusst angelegte und hervorgehobene Verbindung von Stadt und außerhalb gelegener Sommerresidenz durch eine Allee. In Herrenhausen führt diese Allee durch bereits bestehende großzügige Herrschaftsgärten und wird bewusst von seitlicher Bebauung ferngehalten.
Die neu angelegte Weißensteiner Allee dagegen, die zunächst durch die ungestaltete und nicht bebaute Landschaft führt, gibt relativ schnell einen Anreiz zur Anlage von Gärten mit Gartenwohnhäusern vor den Toren der Stadt. Der städtebauliche Ausbau wird durch Landgraf Friedrich II. befördert: »Im Monat December (des Jahres 1778) ist durch die Casseler Zeitung publicirt worden, dass der Herr Landgraf die Häuser vor dem Frankfurter und vor dem Leipziger Thor und an der Allee vor dem Weißensteiner Thor zu Vorstädten der Stadt Cassel ernannt hat. In diesem Jahr ist auch einem jeden erlaubt worden, an der Weißensteiner Allee zu bauen und hat der Herr Landgraf den Baulustigen eine gewißes Douceur gegeben, für jeden Platz.«
Die aus anderen Residenzstädten bekannte, durch steuerliche Vergünstigungen oder andere Anreize beförderte Randbebauung im Sinne eines einheitlichen städtebaulichen Konzeptes findet auch entlang der Wilhelmshöher Allee Resonanz. Allerdings entwickelt sich diese Bebauung über lange Zeiträume höchst heterogen und uneinheitlich. Sie gibt damit eher den architektonischen Geschmack der jeweiligen Erbauungszeiten wieder, als dass ein geschlossenes städtebauliches Ganzes angestrebt worden wäre. Durch die auch in Kassel sich stark beschleunigende Industrialisierung wuchsen die Bevölkerungszahlen stetig: von 41.000 im Jahr 1867 auf 106.000 Ende 1900. Die Schaffung von neuem Wohnraum wirkte sich unmittelbar auf die Entwicklung der Stadt nach Westen und damit zum Bergpark hin aus.
Ein erster Entwicklungsplan von 1870 eröffnet nach Westen die Erweiterungsmöglichkeiten, die in der Folge von Sigmund Aschrott intensiv betrieben wurden. Seine Vision einer großstädtischen Erweiterung in Richtung der mittlerweile von dem deutschen Kaiser genutzten Sommerresidenz Wilhelmshöhe kam unmittelbar in der Benennung der neu angelegten Hauptstraße als »Hohenzollernstraße« und des gesamten Viertels als »Hohenzollernviertel« zum Ausdruck. Mit der Erhöhung der Randbebauung durch mehrgeschossige Mietshäuser wird in der Folge auch der Straßenraum auf ca. 30 m verbreitert und die Fluchtlinie der Häuser zurückgesetzt. Bereits der in den 1890er Jahren festgelegte Fluchtlinienplan führt zu einem Abriss der älteren Bebauung, die sich außerhalb der Fluchtlinien befand. Zu einer nochmaligen Verbreiterung kam es schließlich in der Zeit des Nationalsozialismus, in der die »Repräsentationsstraße Kassels« Ausgangspunkt eines Umbaus der Stadt im Sinne eines monumental gedachten städtebaulichen Rahmenplans werden sollte. Es war eine »baukünstlerische Gesundung der Allee« vorgesehen, da konstatiert wurde, dass sie sich »im unordentlichen Zustande der Umwandlung aus einer schönen Allee in eine großstädtische Mietshausstraße« befinde. »Die Bautätigkeit in der Allee ist zu fördern. Insbesondere ist anzustreben, daß an ihr neue Verwaltungsgebäude und sonstige geeignete Gebäude von monumentaler Fassung an hervorragenden Stellen errichtet werden. Durch die Errichtung des Wehrkreiskommandos und des Finanzamtsgebäudes ist bereits in diesem Jahr der Anfang gemacht. An die Einzelgestaltung der baulichen Anlagen sind besondere Anforderungen zu stellen. Jedes Gebäude soll Bestandteil der größeren Einheit des Straßen- oder Platzbildes werden. Die Allee ist räumlich durch große, monumental umbaute Plätze zu gliedern.«
Nach 1945 wird diese auf monumentale Wirkung gerichtete Stadtplanung durchaus positiv empfunden, weil sie ein großstädtisches Gegenbild zu den älteren, als kleinstädtisch empfundenen Bauten der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts entwirft, wie sie sich insbesondere noch zwischen Bergpark und Wilhelmshöher Bahnhof fanden.
Entwicklung in den fünfziger Jahren
Das in der Nachkriegszeit vorherrschende städtebauliche Leitbild der »gegliederten und aufgelockerten Stadt« findet sich auch bei den Neubauten der fünfziger Jahre, die die Wilhelmshöher Allee begleiten. Prominentestes Beispiel dieser städtebaulich-gestalterischen Ausrichtung ist vielleicht die Jacob-Grimm-Schule, die seit 1953 vom städtischen Hochbauamt errichtet worden war. Nicht die den geschlossenen Straßenraum bildende, die Baulinie einhaltende einheitliche Baufront des 19. Jahrhunderts wird angestrebt. Die Baulinie wird wiederholt unterbrochen durch weit zurückgesetzte Neubauten. Überspitzt formuliert könnte man sagen, dass sich in dieser aufgelockerten Konzeption der Ausgangsgedanke einer sich entlang der Wilhelmshöher Allee ziehenden Gartenbebauung wiederfindet. So sind auch für das heutige Erscheinungsbild weniger diese sich dadurch bildenden Freiräume ein Problem. Problematischer ist die weit in den Straßenraum vorspringende Säulenhalle des Bahnhofs Wilhelmshöhe. Problematisch ist aber auch der durch die Betonung als Verkehrsachse entstandene Eindruck einer heterogenen, nicht aufeinander abgestimmten Situation. Kennzeichnend dafür sind große Lücken in der Alleenbepflanzung und eine uneinheitliche Möblierung und Beschilderung. Bereits im Managementplan, der begleitend dem Welterbeantrag an die UNESCO beilag, wurden als die wichtigsten Elemente der Planung zur Aufwertung der Wilhelmshöher Allee genannt:
– Alleecharakter mit markanter Blickachse zum Herkules.
– Erhalt und Neupflanzung von Alleebäumen in durchgehenden dicht gepflanzten Lindenreihen
– Straßenbahn in Mittellage; beidseitige Fahrbahnen mit durchgehenden Längsparkstreifen
– Durchlaufender Gehweg und Radweg (Gehweg direkt vor den Schaufenstern)
– Erhalt und Wiederherstellung von Vorzonen/Vorgärten mit niedriger Hecke oder Mäuerchen als Einfriedung
Dieser Grundsatzplanung zur Umgestaltung der Wilhelmshöher Allee lag ein Magistratsbeschluss von 1988 zugrunde, der in der Folge weiter fortgeschrieben wurde. Mit der Anerkennung des Bergparks Wilhelmshöhe als UNESCO-Weltkulturerbe im Jahr 2013 wurde auch die Wilhelmshöher Allee auf Vorschlag und Anraten von ICOMOS in einem die ursprüngliche Planung erweiternden Bereich als Pufferzone anerkannt. Als Ziel des Antrags von 2015 wurde unter anderem formuliert: Die Wilhelmshöher Allee als markante Verkehrs- und Sichtachse, die den Bergpark mit der Innenstadt verbindet, soll neu erlebbar gemacht werden. Hierzu sind mehrere Einzelmaßnahmen geplant. 225 Linden sollen neu gepflanzt und bestehende Bäume saniert werden, um den geschlossenen Alleecharakter wiederherzustellen. Zudem wird das Rasengleis vom Brüder-Grimm-Platz bis zum Kirchweg neu gebaut und das bestehende Rasengleis vom Kirchweg bis zum Krankenhaus Rotes Kreuz überarbeitet. 140 KVG-Oberleitungsmasten aus Beton werden durch moderne Stahlmasten ersetzt und begrünt. Schließlich soll ein Ausstattungskonzept für mehr Aufenthaltsqualität und ein einheitliches Erscheinungsbild sorgen und das gemischte Repertoire aus Sitzbänken, Papierkörben und Fahrradständern ersetzen. »Wilhelmshöher Allee wird mit 1,9 Millionen Euro aus Berlin aufgehübscht «, so lautete eine Überschrift der HNA. Ja, sicher wird die Hauptachse Kassels auch hübscher. Aber nicht nur darum geht es. Es soll der städtebauliche Zusammenhang zwischen dem Bergpark und der Stadt wieder deutlicher herausgearbeitet werden. Auch wenn die Allee heute nach und nach an ihren Rändern zugebaut worden ist, lässt sich der ursprüngliche Charakter einer in die Landschaft eingebundenen Straße betonen. Dabei ist nicht die Einheitlichkeit einer Randbebauung das Ziel. Die Bebauung war in den 250 Jahren ihres Bestehens immer höchst heterogen. Die Wilhelmshöher Allee ist nach wie vor ein Landschaft und Stadt verbindender Grünzug, den es wieder deutlicher herauszuarbeiten gilt.
Zum Schluss sollen zwei Oberbürgermeister der Stadt Kassel zu Wort kommen. Im Zusammenhang mit dem Beuys-Projekt »7000 Eichen« formulierte der ehemalige Oberbürgermeister Hans Eichel: »Heute wird es kaum jemand wagen, ein verringertes Parkplatzangebot als Argument gegen das Pflanzen von Bäumen zu gebrauchen«. Das ist zu hoffen. Und wie sagte Oberbürgermeister Hilgen so schön: »Durch den Welterbe-Prozess sind uns die historischen, landschaftlichen und städtebaulichen Bezüge der Wilhelmshöher Allee und ihre besondere Bedeutung für das gesamtstädtische Gefüge der Stadt Kassel viel deutlicher geworden«. Durch die geplanten Maßnahmen würden diese vielfältigen Bezüge und Qualitäten noch stärker ins Bewusstsein der Stadtbewohner und Gäste gerückt.
Autor: Prof. Dr. Gerd Weiß
(Quelle: Pressestelle Stadt Kassel 27. Januar 2016) Dem Text liegt der in Teilen frei gehaltene Vortrag vom 20. Mai 2016, dem Tag der Städtebauförderung, zugrunde. So erklären sich manche nur stichwortartig ausgearbeiteten Formulierungen. Den Kolleginnen und Kollegen der Museumslandschaft Hessen-Kassel und des Stadtplanungsamtes der Stadt Kassel danke ich für die Zurverfügungstellung von Antragstexten und Bildmaterialien
Prof. Dr. Gerd Weiß
Kunsthistoriker und Denkmalpfleger
geboren 1949 in Lippstadt, Studium der Kunstgeschichte, Germanistik, Soziologie und Publizistik. Von 1999 bis 2014 war er Präsident des Landesamtes für Denkmalpflege Hessen. Seit 2002 Honorarprofessur an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Gerd Weiß ist u. a. Vorsitzender der Expertengruppe Städtebaulicher Denkmalschutz des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit.