Der Wettbewerb für den Bau des neuen Fraunhofer-Instituts für Windenergie und Energiesystemtechnik IWES am KulturBahnhof Kassel ist entschieden. Die Jury unter Vorsitz von Zvonko Turkali bestimmte aus 18 Beiträgen drei Preisträger und drei Anerkennungen. Realisiert wird das Gebäude von HHS Architekten. Für Oktogon sprachen Helmut Plate und Armin J. Noll mit Günter Schleiff von Hegger Hegger Schleiff Architekten und Prof. Dr. Clemens Hoffmann, dem Leiter des Institutsteils Energiesystemtechnik des Fraunhofer IWES.
OKTOGON Glückwunsch an Günter Schleiff und HHS Architekten, dass Sie den Neubau für das Fraunhofer-Institut am Kasseler KulturBahnhof realisieren dürfen, und Glückwunsch zu Ihrer Zusammenarbeit. Barbara Ettinger-Brinckmann, die mit ihrer ANP – Architektur- und Planungsgesellschaft für das Wettbewerbsmanagement zuständig war, hat gesagt: »Das Projekt ist der Auftakt einer städtebaulichen Konversionsmaßnahme, die die ehemaligen Bahnflächen nördlich des Kasseler Hauptbahnhofes zu einem attraktiven, innerstädtischen Gewerbe- und Dienstleistungsstandort entwickeln soll.« Lassen Sie uns mit dem Aspekt Standorts beginnen. Von städtischer Seite war der ursprünglich für die Kreativwirtschaft vorgesehen. Die Aussagen von Stadtbaurat Nolda und Oberbürgermeister Hilgen betonen aber heute mehr das innerstädtische Gewerbegebiet. Normalerweise würde man ja so ein Institut nicht in den innerstädtischen Bereich bauen?
Prof. Dr. Clemens Hoffmann Es gibt genügend Beispiele für Institute früherer Tage, die innerstädtische Standorte gewählt haben. Es ist ein Forschungsinstitut und das, was sich auf dem Areal noch entwickeln kann, sollte im besten Fall sehr eng assoziiert an unsere Thematik sein. Das könnten zum Beispiel innovative Spin-offs und Start-ups sein, die sich dort in der Nachbarschaft ansiedeln.
Günter Schleiff Aktuelle städtebauliche Modelle gehen auch nicht mehr von einer Sektorisierung aus, dass man sagt »die Industrie hat ihren Standort da«. Man versucht heute, Wohnen und Arbeiten wieder näher miteinander in Verbindung zu bringen. Kassel hat ja, bezogen auf seine Einwohnerzahl, eine große Ausdehnung in der Fläche mit vielen innerstädtischen Brachen. Es wäre fatal, wenn die Stadt weiter nach außen wachsen würde, statt ihre inneren Potenziale zu nutzen. Insofern sind »Konversionsgeschichten« immer sinnvolle Maßnahmen, weil sie Flächen weiterverwenden.
Es gibt ja zwei direkte Nachbarschaften. Zum einen die City – Teile der Fußgängerzone schließen an der einen Seite an – und an der anderen Seite ist über eine kurze Lücke der Campus der Universität zu erreichen.
Schleiff Und die Industrie schließt auch gleich an. Es sind Kombinationspunkte von ganz unterschiedlichem Nutzen. Von der City her gesehen liegt das Grundstück etwas weit nach hinten – das hat uns im Entwurf etwas Probleme gemacht –, aber es liegt natürlich äußerst zentral.
Stichwort »Beuys-Straße«. Ursprünglich immer als etwas schwieriges Areal bewertet. Wird es durch den Neubau eine Aufwertung bekommen?
Hoffmann Es ist eigentlich vernünftig, dass man dieses Hochplateau nutzt. Diese »Insel« mit Leben zu füllen ist immer noch eine Herausforderung.
Herr Hoffman, Sie hatten ganz konkrete Vorstellungen auch bereits vor der Wettbewerbsausschreibung. Ist da ein Architekt an Ihnen verloren gegangen?
Hoffmann (lacht) Ich weiß nicht, woher Sie Ihre Informationsquellen haben?
Es ist ein veröffentlichtes Zitat aus der Hessischen Allgemeinen – HNA. Dort sprechen Sie davon, dass Sie ein architektonisches Symbol, eine Art Kontrollzentrum wie in einem Flughafentower wünschen, von dem aus sich die Energiewende beobachten lässt. Das kam doch von Ihnen?
Hoffmann Ja, das war und ist mir sehr wichtig. Es gibt ein großes Bedürfnis nach Klarheit in der Bevölkerung, aber auch unter den Verantwortlichen in der Energiebranche. Die politischen Debatten und das Tauziehen rund um die Energiewende vermitteln vielfach den Eindruck einer gewissen Planlosigkeit der weiteren Entwicklung unseres Energiesystems. Wir wollen dagegenhalten und auf der Basis unserer Studien und Rechnungen zeigen, dass es einen technisch machbaren und wirtschaftlich erfolgreichen Weg gibt. In einer Leitwarte, mehr vielleicht einem Beobachtungszentrum – denn kontrollieren tun wir im eigentlichen Sinne ja nichts – wollen wir den Soll-Ist-Vergleich der Entwicklung öffentlich machen. Wir wollen diese »Leitwarte der Energiewende« auch internationalen Partnern öffnen, die am »pochenden Herzen« der deutschen Energiewende ganz dicht dabei sein können und daraus Inspirationen und Hilfestellung für die Transformation ihrer nationalen Energiesysteme mitnehmen können. Es ist klar, dass man sich damit nicht verstecken darf, sondern ein aufragendes Symbol schaffen muss. Unter dieser Voraussetzung habe ich den Begriff der Leitwarte formuliert, der dann Eingang in das wettbewerbliche Ausschreibungsverfahren gefunden hat. Etwas, womit dann die Architekten auch gearbeitet haben. Zum Schluss haben sich alle 18 Entwurfs-Architekten, jeder in seiner Weise, damit beschäftigt.
Die Entscheidung, dass der HHS-Entwurf realisiert wird, ist die schon publiziert oder ist das eine ganz frische Entscheidung?
Schleiff Es hat einen Wettbewerb gegeben und da gab es zwei erste Preise. Im Anschluss kam dann das Vergabeverfahren – das sind die Regeln. In diesem Vergabeverfahren können sich die ersten drei noch einmal mit einer Überarbeitung präsentieren, denn kein Wettbewerbsentwurf löst die Dinge vollkommen richtig. Aus diesem Verfahren sind wir noch einmal als Sieger hervorgegangen und jetzt ist es fix. Wir haben dann natürlich sofort begonnen,
mit dem Nutzer die Dinge zu entwickeln und passgenau die Bedürfnisse umzusetzen. Man hat
Schleiff Das sind 7.600 Quadratmeter Nutzfläche, die sich zu einem Drittel auf Laborflächen und Flächen für Technika und zu zwei Dritteln auf Büroflächen aufteilen. Das sind im Prinzip die Tätigkeitsbereiche, die das Institut beschreiben. Wir versuchen ein flexibles Gebäude zu entwickeln. Deswegen werden die Geschosshöhen höher sein, als das üblicherweise bei Büroräumen der Fall ist. Zum Beispiel die Räume für die Technika im Erdgeschoss – da gilt es für die Zukunft flexibel zu bleiben, denn wir wissen heute nicht, woran das Institut in 15 Jahren forschen wird und ob diese Dinge größer, höher, breiter oder kleiner sind. (Lacht) Das soll dann auf jeden Fall noch reinpassen.
Wir würden gerne noch einmal auf das Institutsgebäude als Beobachtungspunkt für die Energiewende zu sprechen kommen. Es gehört zu den Schwerpunkten des Instituts, an Energiesystemtechnik zu forschen, die alle erneuerbaren Energien wie Wind-, Solar- und Bioenergie umfasst. Sind das die Hauptpunkte oder geht es sogar thematisch noch darüber hinaus?
Hoffmann Es geht sogar deutlich darüber hinaus. Sie haben nur die Erzeugungskomponenten genannt. Wenn man aber wirklich in das Regime der erneuerbaren Energien eintreten möchte – und wir sind gerade mal dabei, das zu touchieren –, dann wollen wir irgendwann einmal auch einhundert Prozent haben! Eine Situation, die sich heute noch niemand vorstellen kann, denn dann haben wir viermal so viel Leistung, wie gerade gebraucht wird. Dann muss man darüber nachdenken, wohin man mit dieser Leistung will. Man kann sie nicht einfach »wegschmeißen«. Wir müssen unsere gesamte Energiewirtschaft dahingehend umbauen, dass alles Strom wird. Wir machen noch Wärme aus Gas und teilweise sogar aus Öl. Noch schlimmer – wir fahren mit Benzin und Diesel durch die Gegend und in der chemischen Industrie setzen wir noch sehr viele fossile Brennstoffe ein. Diese Sektoren muss man erst einmal alle auf Strom bringen.
Wir meinen, dass wir in der Wärme eigentlich am schnellsten zum Zuge kommen. Das heißt, die Wärmeversorgung auf Wärmepumpen umzustellen wäre von den technischen Erfordernissen überhaupt kein Problem, zumindest bei Neubauten. Im Gebäudebestand gibt es schon größere Herausforderungen. An den Wachstumszahlen im Elektromobilmarkt sehen Sie ja, dass das langsam geht. Aber exponentielles Wachstum ist tückisch. Plötzlich geht es schneller, als man reagieren kann. Im stofflichen Bereich müssen wir dazu kommen, Kraftstoffe synthetisch aus erneuerbaren Energien herzustellen. Ein weiteres Problem der Energiesystemtechnik: Was ist, wenn nur ganz wenig erneuerbare Energien vorhanden sind und man nachschießen muss? Dafür braucht man Kraftwerke. Da überschreiten wir den Rubikon der reinen grünen Lehre, indem wir sagen, dass wir ganz genau auf unseren Kraftwerkspark aufpassen müssen. Wir dürfen die Gaskraftwerke nicht abbauen. Die Kohlekraftwerke müssen wir zunächst flexibilisieren und allmählich in andere Kraftwerksstrukturen überführen. Das zeigt, kurz gefasst, dass Energiesystemtechnik in gewisser Weise technologieagnostisch ist. Es ist keine Parteinahme für die eine wahre Erzeugungstechnologie. Da sind nicht hier die Guten und da die Bösen. Wir versuchen, sehr vernunftgesteuert ein Zukunftsbild zu malen und herauszufinden, wie ein zuverlässiges Energiesystem aussieht. Bei Wind- und Solarenergie kann man nicht agnostisch sein, weil es keine anderen Alternativen gibt. Es gibt aber Übergangstechnologien, die man noch eine Weile braucht.
Wie wird sich das konkret im Gebäude umsetzen. Der Institutsneubau soll ja Ausdruck einer neuen Orientierung in der Energiewelt sein. Wie wird sich das Gebäude versorgen? Was wird es produzieren?
Hoffmann Das Gebäude soll Ausdruck all dessen sein, was wir wissen. Es soll dabei nicht übertreiben, also nicht von oben bis unten mit Solarzellen bepflastert sein. Wir könnten natürlich auch Windturbinen draufsetzen, die sich alle drehen, und in die Kanalisation ein Wasserrad bauen. Das könnte man alles machen. Aber das Gebäude soll ein realistisches Beispiel für diese Art von Gebäuden sein. Es ist außerdem kein Wohngebäude, sondern ein Großbau. Für genau diese Klasse von Gebäuden werden wir ein Template schaffen. Wir denken im Moment intensiv darüber nach, was man klimatechnisch am Gebäude macht – und da gibt es sehr interessante Überlegungen und es ist noch nicht völlig klar, wohin diese spannende Reise geht. Es ist zunächst nur ein Gebäude für sich, aber wir meinen, es sollte mit seiner Umgebung in Wechselwirkung treten. Dafür finden wir den Kulturbahnhof interessant. Da könnte man eine alte Struktur mit einer ultraneuen Struktur verbinden.
Schleiff Das ist das neue an dem Gebäude, auch an seinem Energiekonzept, dass es mehr Energie produzieren als verbrauchen wird. Darüber hinaus gilt es jedoch, das Gebäude im Kontext zu denken. Herr Hoffmann hat den Kulturbahnhof eben angesprochen, daneben steht ein Arbeitsamt aus den 60er-Jahren. Wir haben möglicherweise zu viel Wärme, weil wir ein Rechenzentrum betreiben müssen. Warum sollte ein Besitzer eines Altbaus viel Geld für Dämmung ausgeben, wenn man in der Nachbarschaft zuviel Wärme hat? Es ist nicht das beste Konzept, aber es könnte ein Gedanke sein. Wie verstehe ich das Gebäude im Kontext? Das ist eigentlich das Spannende an diesem Thema, dass wir erkennen, wo regional Bedarf da ist und wir nicht die Energie durch die ganze Republik schieben müssen.
Das geht also in Richtung eines kleinen, autarken …
Schleiff Nein, autark ist falsch. Es geht um technische Kommunikation.
Hoffmann Das ist eben genau dieses out-ofthe-box-Denken. Wir bauen jetzt erst einmal ein Gebäude, aber das liegt in einem bestimmten Umfeld. Wir wollen mit unseren Ideen die umliegende Gebäudelandschaft sozusagen »infizieren«. Und wir wollen, dass das Gebäude kommuniziert und informiert: Man soll es daran ablesen können! Wir sind selber gerade dabei, zu überlegen, was das konkret bedeuten kann. Dafür haben wir den Begriff des »Hub« im Quartier gefunden. Da stellt sich zuerst die Frage: Wie groß ist das Quartier? Bis zur Universität reicht es bestimmt!
Wie muss man sich die Verbindung zwischen der Universität und Fraunhofer IWES vorstellen? Wie spielt das zusammen?
Hoffmann Das Institut für Solare Energieversorgungstechnik ISET war ein hessisches Landesinstitut, das Werner Kleinkauf an der Universität Kassel installiert hat. Dann wurde es größer und größer, hat einen riesigen Sprung während der Konjukturpaket-II-Phase gemacht. Man musste sich dann überlegen, wie man das Institut im Land halten kann. Das ging nicht allein. Also wurde überlegt, in welche große Forschungsgesellschaft man es überführen kann, welche dafür infrage kommt. Da gibt es für die Geisteswissenschaften die Leibniz-Gesellschaft, für die Großforschung die Helmholtz-Gemeinschaft, für die Grundlagenforschung haben wir die Max-Planck-Institute und wenn man eben angewandte Forschung macht, dann sind da die Fraunhofer-Institute. Dann guckt sich die Fraunhofer-Gesellschaft so ein Institut über fünf Jahre ganz genau an und sagt dann: »gut, das ist es«. Fraunhofer Institute sind sehr föderal organisiert, erst einmal in ihren Bundesländern verortet und dann eben auch an eine Universität angebunden. Ich bin Professor der Universität Kassel und damit betraut, das Fraunhofer Institut zu leiten.
In der Öffentlichkeit in Kassel ist SMA das Paradebeispiel für eine gelungene Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Wirtschaft und der Ausgründung eines erfolgreichen Unternehmens aus dem wissenschaftlichen Bereich heraus. Wenn man jetzt einen Blick in die Zukunft wagt, was sind dann neben Photovoltaik die Zukunftsfelder, wo die Universität an der Nachbarschaft zum Fraunhofer Institut partizipieren kann und wo sich neue Netzwerke entwickeln können?
Hoffmann Das sind natürlich alles Geheimnisse (lacht) und ich kann da nur vage Andeutungen machen. Ich habe eben den Bogen gespannt, dass wir die Wärme und die Mobilität auf den Strom abstellen müssen. Das gilt auch für die Wandlung von elektrischem Strom in chemische Bindungen. Man kann aus Strom Wasserstoff erzeugen. Aber man kann auch darüber noch hinausgehen. Da sehen wir ein weites Feld für Innovationen.
Gehört das Thema Kommunikation auch in diesen Bereich? Ich bin über Ihren alten Arbeitsplatz bei Siemens auf Smart Grid gekommen, ohne es im Detail verstanden zu haben. Da ging es im Großen und Ganzen um das gesamte Energiethema, aber auch um das Feld der Mobilität und das Feld der digitalen Kommunikation. Gibt es zu dem Bereich der digitalen Kommunikation Verbindungen für das Institut in Kassel?
Hoffmann Da haben Sie meine Biograpfie gut recherchiert (lacht). Smart Grid stimmt natürlich auch und es ist ein System, das sehr stark kommunizieren muss und deutlich anders als heutzutage, wo der Strom einfach von oben nach unten fließt. Es sind wesentlich mehr Interessenten im Spiel. Sie sind als privater Nutzer schon eine Art von Marktteilnehmer. Dann wollen Sie natürlich einen Marktzugang haben – das ist das eigentliche Ding, wo die Kommunikation eine Rolle spielt. Und das auf jeder Skala. Da glauben wir schon, dass alles Mögliche fehlt: Protokolle, Standardisierung und so weiter. So eine Art Betriebssystem für Energiesysteme, ein Google der Energie, braucht es noch.
Wir würden gern mehr zur Architektur und zur Außenhülle erfahren?
Schleiff Wir sind kein Solarinstitut, das heißt wir müssen auch nicht unbedingt Solar in der Fassade benutzen, wenn wir es nicht unbedingt für das Energiekonzept brauchen. Insofern wird sich die Entscheidung über die Fassade und die Materialien von selbst ergeben: Wenn wir es für sinnvoll erachten, dies und jenes in der Fassade unterzubringen, dann ist das so. Wenn wir mehr Energie erzeugen müssen, dann wird es sich nicht auf die Fassade beschränken können, sondern wir müssen es auf den Dächern und an anderen Orten unterbringen. Insofern ordnet sich die Architektur dem Thema Energie unter. Dass das Gebäude gut gedämmt ist, gute Gläser hat, Sonnenschutz und gute akustische Dämmung und außerdem flexibel ist, das ist selbstverständlich.
Hoffmann Herr Schleiff kann alles machen, was er ästhetisch vertreten kann. Das ist der Deal.
Schleiff Besonderes Augenmerk wird der Leitwarte gelten, die sich außen und innen darstellen wird. Das Gebäude hat ja eine über alle Geschosse gehende Halle und darin ist dieses Element implantiert. Wenn Besucher von außen kommen und in die Halle gehen, finden Sie das Thema sofort wieder.
Das heißt, dass Besuch erwünscht ist. Geht es auch so weit, dass es vielleicht eine Art Informationszentrum gibt? Oder wie muss man sich das vorstellen?
Hoffmann Besuch ist definitiv erwünscht. Wenn wir sagen, dass wir eine Leitwarte der Energie-wende sind, dann ist es eben kein geheimnisvolles Gebäude hinter Gittern, sondern ganz im Gegenteil. Wir sollten es – kompatibel mit der Arbeit am Institut – nach außen öffnen. Ich hatte im Wettbewerb ganz verschiedene Metaphern benutzt, um den Raum für Ideen zur Leitwarte offenzuhalten. Ich möchte nach außen hin kommunizieren, dass wir die Transformation der Energiesysteme zielgerichtet gestalten können. Man soll auf Bildschirmen sehen können wo der Umbau des Energiesystems in Deutschland und in Europa steht und wie er sich in Zukunft am besten entwickeln soll. Die Heterogenität der 18 Bewerber war enorm. Keiner war wie der andere. Man würde ja meinen, dass in Bezug auf die Vorgaben viel Ähnlichkeit vorhanden gewesen wäre. Das war überhaupt nicht der Fall. HHS hatte einen ganz wichtigen Pluspunkt, nämlich, dass sie das Gelände ganz genau verstanden haben. Dass hier, anders als bei vielen Häusern, die attraktive Seite nicht die Südseite ist.
Da musste man die Einsicht haben, den fantastischen Blick nach Norden zu öffnen. Diese Einsicht von Günter Schleiff muss man auf jeden Fall nutzen. Da hatten sich andere wettbewerbliche Entwürfe versteckt und gedacht, dass die Innenkommunikation sehr viel wichtiger ist. Ist sie auch, aber dass man auch aus dem Gebäude herausschaut, dass man diese geniale Sicht haben kann, hat den HHS-Entwurf herausgehoben. Und dann ist da noch das Thema mit den Laboren: Ich möchte Arbeitsräume, in denen ich inspiriert werde, wo ich nachdenken kann und deswegen brauche ich – auch ganz persönlich – diesen Blick nach draußen.
Schleiff Da hat sich mein jahrelanges Engagement im KAZ gelohnt, weil ich da immer über den Bahnhof nach Hause gefahren bin und die Gegend perfekt gekannt habe. Die documenta war natürlich der letzte Impuls.
Es war ja für viele Kasseler ein Schlüsselerlebnis bei der letzten documenta zu sehen, dass man von diesem Grundstück aus freie Sicht auf den Herkules hat. Auch als Einheimischer glaubt man das zuerst gar nicht. Die Außenhülle aus Glas ist jetzt verschiedentlich erwähnt worden …
Schleiff Nein, es wird eine Mischung aus opaken und transparenten Flächen geben, die in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander stehen müssen, um eine sommerliche Überwärmung der Innenräume zu vermeiden.
Welche Materialien werden noch zum Einsatz kommen?
Schleiff Wir wollen Gebäudespeichermassen aktiv im Gebäude halten, um eine Stetigkeit im Klima hereinzubekommen. Deswegen wird es Betondecken geben. Es wird ein hohes Augenmerk auf akustische Dämpfung gelegt werden. Wir wollen es mit Holz kombinieren. Es soll natürlich Arbeitswohnort für die Lebenszeit sein. Es ist ja ein Büro und muss für die Techniker sehr funktional sein.
Bei derartig großen Gebäuden ist oft nicht die Beheizung das Problem, sondern die Kühlung. Die Beschattung von Fenstern, also durch Lamellenrollos, sind sie denn noch State of the Art? Oder gibt es mittlerweile noch bessere Lösungen?
Schleiff Das ist ein Muss und es gibt nichts Besseres, um den Widerspruch zu lösen, dass man einerseits herausschauen möchte, andererseits aber auch beschatten will oder sogar beides gleichzeitig machen möchte. Es gibt eigentlich nichts Besseres als eine Lamelle, die beweglich und damit auch verfahrbar ist, um auf diese unterschiedlichen Zustände zu reagieren. Alle anderen Dinge machen entweder ganz dicht, gestatten weniger Ausblick oder sind nicht so flexibel. Wir haben senkrechte Lamellen ausprobiert, aber dann kommt man immer wieder an einen Punkt, an dem es nicht mehr funktioniert, weil es mit dem Sonnenlauf nicht passt. Das allein schon deshalb, weil das Gebäude eine reine Nord-Süd-Ausrichtung hat. Wir haben also auf beiden Gebäudeseiten gänzlich unterschiedliche Bedingungen. Wir wollen natürlich, dass der Mitarbeiter lüften kann und ein Fenster aufmachen kann, um den Kontakt zur Außenwelt nicht zu verlieren.
Da gibt es ja diese Vorstellung, dass man im energieoptimierten Haus nicht mehr die Fenster aufmachen darf oder die Terrassentür zum Garten hin.
Schleiff Das ist ja eigentlich Unsinn. Deshalb sind wir auch gegen Passivhäuser, da sie eine Extremsituation am Rande einer optimierbaren Regelbarkeit konstruieren. Das ist nicht das normale Leben. Meine Hoffnung ist es, dass wir einmal genug Energie haben, um großzügig damit umzugehen, wenn wir sie eben regenerativ erzeugt haben und die Umwelt nicht schädigen. Denn das ist Lebensqualität.
Wir haben bereits über den Standort am alten Hauptbahnhof gesprochen, der auch Standort von Kulturwirtschaft und kleinen Kulturbetrieben ist. Inwieweit ist Kultur auch ein Standortfaktor für ein großes Unternehmen?
Hoffmann Das ist für Kassel extrem wichtig. Als großes Forschungsinstitut – das gilt aber sicher auch für viele andere Technologie-Unternehmen – haben wir einen Standortnachteil, der ganz einfach aus der Bevölkerungsdichte resultiert. Man kann in der Metropol-Region Frankfurt-Darmstadt aus einem deutlich größerem Bevölkerungspool schöpfen. Das gilt für die Anzahl von Studierenden bis hin zu Fachkräften jeder Art. Wir müssen also gezielt überregional Personaleinstellung betreiben, die dann für eine Kandidatin oder einen Kandidaten fast immer auch einen Umzug nach Kassel bedeutet. Denen müssen wir auch außerhalb ihres Arbeitsinteresses etwas bieten. Da werben wir natürlich mit der landschaftlichen Schönheit der Umgebung, aber wir werfen auch die Kultur in die Waagschale. Bei unserer letzten Weihnachtsfeier haben wir die Geschäftsführerin der documenta, Frau Kulenkampff, zu einem Vortrag eingeladen. Mit unseren Kuratoriums-Mitgliedern sind wir im letzten Jahr in den Bergpark gegangen, dieses Jahr besuchen wir das Grimm-Museum. Für die allermeisten ist der Blick von der Herkules-Terrasse ein Aha-Erlebnis, dass ein solcher Bergblick weit weg von den Alpen mitten in Deutschland möglich ist. Mit einigen Vertretern der Kulturschaffenden rund um den Kulturbahnhof sind wir bereits ins Gespräch gekommen. Wir wurden als neue Nachbarn mit Erdbeerkuchen und einem Rundgang durch studiokassel, Unten, Caricatura, Conference&Art und Bali-Kino sehr freundlich begrüßt. Man freut sich dort, dass wir kommen. Ich finde aus Gründen der Gehirn-Gesundheit die Verbindung zwischen künstlerischer Kreativität und unserer energiewissenschaftlichen Kreativität sehr hilfreich und stimulierend. Ich hoffe sehr, dass wir mit unserem neuen Haus und unserer Tätigkeit dort diese Verbindung zur Kultur verstärken können und dass wir insgesamt für viele Bereiche der Stadt eine Bereicherung sein können.
Das Gespräch führten Helmut Plate und Armin J. Noll
Fotos von Andreas Berthel