Stilvolle Jugend – Wie besonders es wird, wenn ein Bauherr eine historische Bausubstanz wieder in ihren Originalzustand überführen möchte, das zeigt sich an der Ecke Querallee/ Friedrich-Ebert-Straße. Mit viel Liebe zum Detail, vortrefflicher Handwerkskunst und großem Aufwand ist ein wahres Prachtstück des Jugendstils wieder auferstanden. Kommen Sie mit uns auf eine Reise die Querallee hinauf.
Wer die Querallee von ihrem Anfang an begleitet, der entdeckt nach wenigen Hundert Metern, wie eindrucksvoll Kassel war und wieder ist – die Goethestraße mit ihren geschichtsträchtigen Fassaden und dem Boulevard ist ein wahres Schmuckstück geworden. Noch ein wenig weiter und wir sehen, dass sich auch hier, an der Kreuzung zur Friedrich-Ebert-Straße, Erstaunliches getan hat. Ein Blick nach rechts und ein scheinbar ganz neues Gebäude zeigt seit Kurzem voller Stolz wieder seine Jahreszahl in großen Zahlen auf Sandstein: 1890. Auf seiner Spitze thront nicht minder stolz und erhaben eine stilvolle Turmspitze. Klinker und Sandstein in Vollendung. Jugendstil vom Besten. Und dass die Friedrich-Ebert-Straße 96 erneut erstrahlen kann, daran hat die Kasseler Firma Schalles einen entscheidenden Anteil.
Geschichtsbewusst – Maler sind viele, aber die Malerwerkstätten Schalles sind außergewöhnlich. Hier hat man sich darauf spezialisiert, Baudenkmäler in ihren ursprünglichen Zustand zu versetzen. Wie erfolgreich das Unternehmen dabei ist, das zeigen die Restaurierungen des Ballhauses am Schloss Wilhelmshöhe, des Rathauses, dem Palais‘ Bellevue sowie der Christuskirche, der Villa Burgfeldstraße 21 sowie zahlreichen weiteren Jugendstilbauten in Kassels Vorderen Westen. Bei alledem braucht es nicht nur das beste fachliche Know-how, sondern gerade die historischen Hintergründe müssen verstanden werden, damit Geschichte wieder in neuer Form erleb- und vor allem nutzbar wird. Voraussetzungen, die das Unternehmen Schalles wie kaum ein anderes in der Region seit über 125 Jahren erfüllt. Wer den Fassaden-Experten am Standort Wilhelmshöher Allee einen Besuch abstattet, der findet dort mit Wilhelm Schalles nicht nur einen engagierten Geschäftsführer, der den Betrieb in der vierten Generation führt, sondern auch Maler, Kirchenmaler, Verputzer, Stuckateure, Vergolder sowie einen hoch spezialisierten Restaurator. Genau dies war die Grundlage für die Restauration, die wir nun bewundern können, denn es gab dabei einiges an Überraschungen.
Plattenbau – Versuchen Sie sich zu erinnern. Wie sah das Gebäude noch vor nicht allzu langer Zeit aus? Es dürfte Ihnen nicht zu schwer fallen, schließlich sahen die schwarz-grauen Eternitplatten über dem Sockel aus braunen Fließen mehr als nur gewöhnungsbedürftig aus. Das Wort »hässlich« durfte – ganz objektiv betrachtet – nach 1971 in den Mund genommen werden, auch wenn zur damaligen Zeit eben diese Fassade mit einem Preis bedacht wurde. Und so sah es viele Jahrzehnte lang aus. Bauschäden gab es zwar am Bauwerk bereits relativ kurz nach der Fertigstellung, aber erst der Zweite Weltkrieg sowie die erste Sanierung in den 1950er-Jahren leisteten dabei ganze Arbeit. Während aber andere Gebäude infolge der Nachkriegswirren abgerissen wurden, überstand das Haus diese Zeit und wurde letztlich mit den »schmucken« Platten ausgestattet. Was darunter alles nun zum Vorschein kam, dies war für alle Beteiligten unerwartet.
Hintergründe – Hausnummer 96 erlebte mehrere Plattenphasen. Und immer wurde die Substanz angegriffen. Gesimse und schmückende Fassaden-teile wurden einstmals abgeschlagen, um die Plattenkonstruktion zu ermöglichen. Ein Umstand, der nach Abnahme der Platten eindrucksvoll ins Auge fiel. Ein kompetenter Steinmetz konnte gefunden werden, der sich Stück für Stück des Sandsteins und der Gesimse annahm. Gebäudeanker wurden entdeckt, deren Rost sich großflächig in den Klinker fraß. Überhaupt der Klinker: Der Verschmutzungsgrad war gewaltig. Wie sauber sollte es wieder werden? Was ist in der Gesamtbetrachtung der Fassade sinnvoll? Schließlich das Thema Farbe im Ganzen: Wie kommt man zu einer harmonischen Einheit, wenn neue Sandsteinsegmente eingefügt werden? Und was genau beinhaltet der historische Farbkern dieses Gebäudes? Fragen, die sich die Experten von Schalles stellten und die von ihnen beantwortet werden mussten. Für Restaurator Piotr Slupczynski von den Malerwerkstätten Schalles war klar, dass »bei der Wahl des korrekten Farbtons einer Fassade die Funde vor Ort und am Objekt die wichtigsten sind«. In diesem Fall war auch etwas Glück im Spiel; so wurde ein Schmuckteil ans Tageslicht befördert, das als Vorlage für die Farbgebung diente. Erst wenn auch dieses nicht möglich ist, findet, so Slupczynski, eine enge Abstimmng mit der Denkmalpflege statt und Vorgaben aus vergleichbaren Objekten übernommen.
Alt oder neu? – Wer seriös an solche Projekte herangeht, der braucht zuerst ein Konzept. Eine solche theoretische Vorarbeit ist unabdingbar, wenn ein neuer-alter Gesamteindruck entstehen soll. So wurde von Schalles in enger Abstimmung mit den anderen Gewerken und dem verantwortlichen Architekten ein umfassendes Farbkonzept erstellt, das sowohl die Steine als auch die Verfugung, die zwei mit Kupfer verkleideten Eckgauben, Fensterbänke sowie Laibungsaufkantungen und die Gesimse aus Holz beinhaltete. Erst danach konnte der handwerkliche Teil in Angriff genommen werden. Dabei ist das Ganze als Prozess zu verstehen. Er entwickelt sich mit jedem neuen Fund an originaler Bausubstanz weiter; wird erweitert, wird überarbeitet. Denn nahezu jede Restauration ist ein ständiges Abwägen auch darüber, wie originalgetreu das Original sein soll. Gut zu sehen ist das bei der Friedrich-Ebert-Straße 96 am Beispiel der Steine. Während neu hinzugefügter Sandstein leuchtend hell ist, sind der verdreckte Klinker sowie die anderen Sandsteine dunkel. Was tun? Die Idee war hier, beides anzugleichen. Während also mithilfe von Lasuren der neue Stein ganz behutsam einen alten Touch bekam, wurde der verdreckte Teil so weit heruntergesäubert, dass man sich annäherte, ohne dabei den Stein durch zu scharfe Substanzen zu schädigen. Das Besondere: Es konnte nicht großflächig gearbeitet werden, je nach erneuertem Stück wurde dessen Umgebung angepasst. Wenn man so möchte, ein enorm großes Puzzlespiel. Und dazu noch eines, das nach der Fertigstellung nicht mehr als solches wahrgenommen wird. Denn, so erklärt Baustellenleiter Winfried Dung: »Bei einer fertigen Fassade soll man ja nicht sehen, dass der Maler da war. Erst dann ist es richtig gut.«
Handarbeit – Weniger akademisch, dafür mit Kellen, Stuckeisen, Stichsäge, Wasserwaage, Hammer, Pinseln und Bürsten sowie Walzen – so gehen die Restaurationsexperten von Schalles an ihre Arbeit. Es werden Lasuren unter ständigem Rühren aufgebracht, um die einheitliche Farbgebung der Mixtur aus Wasser, Grundierung, Pigmenten und Farbstoffen zu gewährleisten. Mit Bürsten wird punktuell »wolkig« aufgetragen. In Schmuckfeldern werden die etwa drei Zentimeter starken Bänder – also die Striche – aufgemalt, deren Begleiter feinere, nur ein Drittel so breite Linien sind. Alles Arbeiten, für die erfahrene Arbeitskräfte zwingend notwendig sind. Sie sind es, die über das richtige Materialwissen und hervorragende handwerkliche Fähigkeiten verfügen und die eine Portion kreatives Arbeiten mit Talent zur Improvisation verknüpfen können. Letztlich geht es bei einer gelungenen Restauration stets darum, eben keinen eigenen künstlerisch wertvollen Beitrag zu leisten, sondern das Original perfekt in Szene zu setzen. Eine ernsthafte Arbeit, eine mit wissenschaftlicher Begleitung. Und auch die anfangs erwähnte Teamarbeit ist bei Projekten wie diesen entscheidend für den Erfolg. So waren für die neue alte Turmspitze Dachdecker und Zimmerleute am Werk, die zudem noch Kriegsschäden am Gebälk beheben mussten. Das Ergebnis ist ein wahrer Blickfang geworden. Einer, der dem Vorderen Westen von Kassel einen zusätzlichen Fixpunkt hinzufügt, und einer, auf den das gesamte Projektteam rund um Wilhelm Schalles stolz sein kann. Erfreuen wir uns alle an diesem wundervollen Anblick.
Autor: Roman Völker