Eine Maurerkelle hat er nie in der Hand gehabt. Die chemische Zusammensetzung von Zement kennt er vermutlich auch nicht. Dennoch ist Rolf-Dieter Postlep, seit 15 Jahren Präsident der Universität Kassel und seit September 2015 im Ruhestand, verantwortlich für die Entstehung eines der größten zusammenhängenden Gebäudekomplexe in Nordhessen. Die Gebilde aus Beton und Stahl, Glas und herkömmlichen Ziegelmauern haben alle eines gemein: Sie dienen der Forschung und Lehre, der Beherbergung und dem leiblichen Wohl von 25.000 werdenden Akademikern. Ein Interview mit Professor Dr. Rolf-Dieter Postlep.
Sein Abitur machte Rolf-Dieter Postlep 1965 am Ratsgymnasium in Wolfsburg. Daraufhin absolvierte er eine Lehre zum Bankkaufmann bei der Frankfurter Bank in Frankfurt am Main. 1969 nahm er ein Studium der Volkswirtschaftslehre an der Philipps-Universität Marburg auf, das er 1973 mit dem Diplom-Volkswirt abschloss. Nach Beendigung seines Studiums nahm er an der Philipps-Universität in Marburg 1974 eine Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fachbereich Wirtschaftswissenschaften, dort in der Abteilung für Finanzwirtschaft, auf. 1978 promovierte er in Marburg zum Dr. rer. pol. Bis 1984 war er als wissenschaftlicher Mitarbeiter tätig. Ab 1985 war er dann als Akademischer Rat tätig. 1990 habilitierte er in Volkswirtschaftslehre, ebenfalls in Marburg. In den Jahren 1992 und 1993 hatte er eine Gastprofessur im Fach Wirtschaftspolitik an der Universität Kassel inne. Von 1994 bis 1999 war er Abteilungsleiter beim DIW in Berlin. Während dieser Zeit war er auch an der Universität Potsdam als Lehrbeauftragter tätig. Ab 1996 war er an der Universität Kassel als Professor und Leiter des Fachgebiets Allgemeine Wirtschaftspolitik tätig.
Jörg Adrian Huber: Haben Sie eigentlich im Sandkasten schon gerne Burgen gebaut?
Prof. Dr. Rolf-Dieter Postlep: (lacht) Ja – auch im Sandkasten, vor allem aber an der Ostsee, am Strand. Fragen Sie meine Kinder!
Huber: Ihre Leidenschaft für Architektur und Bauen ist unverkennbar. Worauf führen Sie das zurück?
Postlep: Dieses besondere Interesse hat sich spät entwickelt und hängt mit der Hochschule in Kassel und ihrer baulichen Entwicklung zusammen. Es war und ist durchaus reizvoll für mich mitzuerleben, wie sich an unserem zentralen Standort,
dem Holländischen Platz, unterschiedliche Bauten und Baustile miteinander funktional verbinden und etwas ganzheitlich Neues entsteht. Hochschulen, die zur gleichen Zeit wie Kassel konzipiert wurden, etwa in Bochum oder in Bielefeld, sind meist durch ziemlich gleichartige, voluminöse Betonbauten dominiert. Wir dagegen in Kassel haben in verschiedenen Bauphasen sehr unterschiedliche Baustile realisiert; dadurch ist am Holländischen Platz eine Mischung entstanden, die sich so kein zweites Mal in der deutschen Hochschullandschaft findet.
Huber: Was reizt Sie eigentlich mehr: Die Bereitstellung neuer baulicher Kapazitäten für Forschung und Lehre oder die ästhetische Neugestaltung einer Fläche wie der am Holländischen Platz?
Postlep: Ich würde beide Aspekte gleich gewichten. Der ursprüngliche Anlass für die Neugestaltung des Campus Holländischer Platz war zweifelsohne, dass die Naturwissenschaften hier ein neues Heim finden sollten mit neuer apparativer Infrakstruktur und auf Basis neuester technischer Erkenntnisse in der Gebäudeausstattung. Auf der anderen Seite ist es spannend mitzuerleben, wie ein ehemaliges Industriegebiet, das in Teilen ziemlich verfallen war, sich neu als Wissenschaftsstandort aufstellt – mit spürbaren Impulsen für die Stadtentwicklung, vor allem für die Nordstadt.
Huber: Die Baugeschichte der damals noch als GHK betitelten Hochschule beginnt mit dem Allgemeinen Verfügungszentrum (AVZ) im Ortsteil Oberzwehren und genauso sahen die Gebäude dort dann auch aus. Schaute man sich die hingewürfelten Waschbetonquader an, konnte einem schon dieses und jenes vergehen. Genau in die Gegenrichtung waren Architekten und Bauleiter mit dem postmodernen Ho-Pla-Campus unterwegs. Hier konnte man ja glauben, dass jeden Moment Rotkäppchen um die Ecke biegt. Zwei Beispiele für die Gestaltung von Hochschulgebäuden am Ende des vorigen Jahrhunderts. Das alles war vor Ihrer Zeit und Sie können also ganz unbefangen darüber urteilen.
Postlep: Das Aufbau- und Verfügungszentrum war ja ganz bewusst ein Provisorium, das für etwa 30 Jahre als Übergang bis zu einer endgültigen baulichen Lösung gedacht war. Es war klar, dass etwas Neues kommen musste. Die entscheidenden Fragen waren: Wann, wo und wie geschieht der Hochschulausbau? Am Standort an der Dönche, also am Rande der Stadt gelegen, oder in dem Stadtkern selbst? Ich kann aus heutiger Sicht nur feststellen, dass es eine weitblickende Entscheidung war, die 1971 gegründete Universität in den folgenden Dekaden weitgehend in den Stadtkern zu holen, wobei dieser Prozess erst mit dem Umzug der Naturwissenschaften von der Heinrich-Plett-Straße in Oberzwehren an den Holländischen Platz abgeschlossen sein wird. Mit der räumlichen Konzentration und Integration der Uni in die Stadt wird die Attraktivität des Hochschulstandortes Kassel spürbar gesteigert – und man hat etwas sehr Positives für die Stadtentwicklung getan.
Huber: Jetzt kommt die Frage zu der eben schon gegebenen Antwort, aber ich stelle sie trotzdem noch einmal. Nun ist das AVZ weit vom eigentlichen Hochschulgebäude entfernt. Die ersten postmodernen Türmchen und Erkerchen werden dabei von modernen bis ultramodernen Bauten auf der einen und den Resten historischer Fabrikgebäude auf der anderen Seite flankiert. Stört Sie das eigentlich oder finden Sie das reizvoll?
Postlep: Es ist sehr reizvoll! Eine Kombination, wie wir sie hier vorfinden mit auf der einen Seite den der Henschelei nachempfundenen Klinkerbauten – »heimelig« mit Wohlfühlcharakter. Und dann, wie Sie selber sagen, auf der anderen Seite hochmoderne Bauten mit viel Glas und Aluminium – im Ergebnis: Unterschiedlichste Baustile aus drei Dekaden auf einem Areal, gut aufeinander abgestimmt. Die Ahna fließt mitten hindurch. Attraktiv und unverwechselbar!
Huber: Vor allem drei Bauteile weisen heute noch auf die frühere Nutzung des Geländes an der Moritzstraße hin. Der riesige alte Fabrikschornstein, das historische Gießhaus und das Sophie-Henschel-Gebäude, das heute für die Werkstofftechnik genutzt wird und aus einer Glas- und Stahlfassung hervorragt wie eine steingewordene Zeitreise. Ist dieses Aufeinanderprallen von Alt und Neu in Kassel Programm?
Postlep: Das kann man so sagen. Kassel hat in den letzten Jahrzehnten auch in baulicher Hinsicht eine ausgesprochen dynamische Entwicklung durchlaufen mit viel Neuem – modernen Industriebauten, neu gestalteten Wohnquartieren wie der Unterneustadt und moderner Infrastruktur wie dem Auebad oder dem Bahnhof Wilhelmshöhe. Dem stehen Traditionen aus der über 1000-jährigen Geschichte Kassels gegenüber, die trotz der Kriegszerstörungen für das Stadtbild weiter sehr wichtig sind wie der Friedrichs- oder der Königsplatz oder die Orangerie. Wenn ich das jetzt auf den Hochschulstandort Holländischer Platz projiziere, gibt es Parallelen. 1836/1837 ist das Gießhaus gebaut worden und etwas später der Henschel-Turm. Das sind zwei Beispiele für das, was wir aus der Vergangenheit mitgenommen und restauriert haben. Und nun kommen moderne Lehr-, Lern- und Forschungsstätten – stellvertretend seien der Science Park oder das Campus-Center genannt. Alt und Neu nebeneinander und funktional verbunden – das passt zu Kassel.
Huber: Inzwischen sieht das Kasseler Universitätsgelände ein wenig so aus wie eine riesige Architekturausstellung. Nehmen Sie das in Kauf?
Postlep: Ich nehme das nicht nur in Kauf, ich freue mich darüber. Wir haben viele interessierte Besucher.
Huber: Vielleicht stellen Sie einmal eine Hitparade der Kasseler Unineubauten auf. Worauf sind Sie am meisten stolz?
Postlep: Darauf zu antworten fällt mir nicht leicht. Am Holländischen Platz wird das moderne Campus-Center (kurz CC) der neue Mittelpunkt des Standortes werden – architektonisch beeindruckend und von innen mit den Hörsälen und Büros ausgezeichnet gestaltet. Aber auch das historische Gießhaus – unsere »gute Stube« – ist mit der beeindruckenden Kuppel einzigartig und sehenswert.
Huber: Gibt es noch weitere?
Postlep: An den anderen Standorten der Universität in Kassel ist die Murhardsche Bibliothek/Landesbibliothek besonders auffällig. In einem Modell kann man sehen, wie die Murhardsche Bibliothek nach dem Umbau und Anbau ab Januar 2018 aussehen wird. Da wird jetzt eine Ausstellungsfläche über dem rechts neben der Murhardschen Bibliothek befindlichen Parkplatz entstehen mit modernen und hellen Ausstellungsflächen – ein Kleinod in Kassel! Erwähnen will ich aber auch den Posenenske-Bau der Kunsthochschule, an der Karlsaue gelegen, der einen ganz anderen Charakter hat, gleichwohl aber sicher zu den Orten in Kassel zählt, die man sich anschauen sollte.
Huber: Welche sind die Architekten und Bauunternehmen, deren Arbeit Sie am meisten schätzen?
Postlep: Dazu kann ich nicht so viel sagen, weil mir die fachlichen Beurteilungsgrundlagen fehlen. Mit Blick auf das Campus-Center finde ich, dass die Architekten des Berliner Büros raumzeit – alles jüngere Architekten, teilweise aus der Uni Kassel – Herausragendes geschaffen haben. Auch die Erweiterung der Mensa um 400 Plätze durch das Architekturbüro Augustin und Frank Architekten, Berlin, beeindruckt mich. Zum Bauvorgang selbst ist anzumerken, dass die großen Bauten durch das Hessische Baumanagement betreut werden. Deshalb haben wir als Universität weniger direkt mit den Baufirmen zu tun, sodass ich hier kein Urteil abgeben kann.
Huber: Sie waren ja als Präsident qua Amt sozusagen oberster Projektmanager mit den Einschränkungen, die Sie gerade genannt haben. Als Wirtschaftswissenschaftler nicht vom Fach. Wie sind Sie mit den Bauleuten klargekommen?
Postlep: (lacht) Da das in diesem Kontext wichtige Baukosten-Controlling eine Kombination aus wirtschaftlichem Denken und baulichem Sachverstand darstellt, kann ich hier zumindest teilweise mitreden. Gleichwohl braucht man zur Unterstützung bei anstehenden Entscheidungen unbedingt Fachleute. Deshalb haben wir neben den Experten unserer Bauabteilung einen, wie wir es genannt haben, »Chief Construction Officer« eingesetzt, einen unserer Professoren aus dem Bauingenieurwesen, der mich sehr intensiv bei Bauplanungen und -entwicklungen beraten hat.
Huber: Wissen sie eigentlich, was die Kollegen von anderen Universitäten aus baulicher Sicht über Kassel denken?
Postlep: Das ist mir nicht bekannt. In den letzten zehn Jahren fand in Hessen an allen Hochschulstandorten eine intensive Bautätigkeit statt. Dazu wurde ein Bauprogramm (abgekürzt Heureka) aufgesetzt, das alle Hochschulen bedarfsgerecht mit Hochschulbauten ausstatten soll. Insofern hat jeder meiner Kollegen genug mit der eigenen baulichen Entwicklung zu tun und kümmert sich nicht so besonders um die Entwicklung der anderen Hochschulen Huber: Es fällt ja auf, dass am Holländischen Platz in Kassel praktisch ständig gebuddelt und gebaut wird. Mussten Sie hart um die Millionen dafür ringen oder hat Kassel für das Land Hessen ohnehin Priorität?
Postlep: Ja, wir mussten hart ringen. Das war ein intensiver Wettbewerb unter den Hochschulen, der sich im Übrigen in Zukunft fortsetzen wird. Im Rahmen des Landeshochschulbauprogamms Heureka zweiter Teil wird das Land für die Jahre 2021 bis 2025 eine Milliarde Euro zum Fortführen der Bautätigkeit zur Verfügung stellen. Der Bedarf, den alle hessischen Hochschulen angemeldet haben, wird allerdings auf drei bis vier Milliarden Euro geschätzt. So wird es zu einem verschärften Wettbewerb um diese knappen Baumittel kommen. Ich hoffe, dass Kassel einen angemessenen Anteil daran bekommen wird.
Huber: Mal so nebenbei gefragt: Können Sie ungefähr schätzen, wie viele Millionen während Ihrer Amtszeit in die Bauten geflossen sind?
Postlep: Ich denke etwa 260 Millionen Euro!
Huber: Also doch schon etwas mehr als der Jahreshaushalt eines Kleinstaates.
Postlep: Das mag schon sein.
Huber: Sie gehen ja demnächst in den Ruhestand. Wo wollen Sie dann eigentlich weiterbauen?
Postlep: (lacht) Bauen ist für mich allenfalls noch ein privates Thema. Aber ich werde den Baufortschritt an der Uni in Kassel interessiert weiter verfolgen, denn: Alles, was bis etwa 2025 noch entstehen wird, ist in der Planung jetzt schon unterwegs. Wir haben ein Baustrukturkonzept erarbeitet, in dem alles, was noch zukünftig in Kassel an der Hochschule baulich investiert werden muss, bereits heute projiziert ist. Wenn alles erfüllt würde, was jetzt zur Realisierung angemeldet ist, auch die Sanierung älterer Bauten, dann würden wir fast bei 600 Millionen Euro Investitionssumme insgesamt landen. Da ist aber noch ein weites Stück des Weges zu gehen.
Huber: Die Oktogon-Redaktion dankt Ihnen für dieses Gespräch!