»Stürz mir da nicht ab«, ruft mir Katja Momberg aus der Küche zu, als ich mir vom bislang noch geländerlosen Balkon der Gründerzeitvilla einen Blick in den wild wuchernden Garten gönne. Mein luftiges Plätzchen übt auch auf den siebenjährigen Mika eine magische Anziehung aus. »Du bleibst hier«, sagt Katja Momberg und schnappt sich lachend ihren Sohn. Mit ungesicherten Baustellen kennt sie sich aus und im richtigen Augenblick zuzupacken, ist offenbar ihre zweite Natur. Ich trenne mich von der märchenhaften Kulisse und gehe zurück in den großzügigen Wohn-Essbereich. Die Sonne fällt in warmen Streifen auf die geweißten Eichendielen. Familie Momberg hat sich um den Esstisch gruppiert. Die neunjährige Mia fragt, ob ich ein Pferd malen könne, während Bruder Mika auf dem iPad tippt und Papa Bernd Kaffee serviert.
»Wir wollten alles auf einmal«, sagt Bernd Momberg. Über ihm, an der von aufwendigem Stuck gezierten Decke, baumelt eine rohe Glühbirne. Sie wirkt wie ein Augenzwinkern. »Leben, Arbeiten, Feiern, Ausspannen – alles unter einem Dach.« Der 50-jährige Unternehmer lehnt sich in seinem Stuhl zurück und verschränkt die Arme hinter dem Kopf. Dabei wirkt er jungenhaft und entspannt. »Da war klar, dass wir Platz brauchen.«
Den haben die Mombergs jetzt. Und damit auch eine Großbaustelle, auf der sie seit 2013 gemeinsam mit ihren beiden Kindern und den zehn Mitarbeitern auf vier Etagen leben und arbeiten. Ich nehme einen Schluck von meinem Cappuccino, dessen Farbe mit dem erdigen Ton der gegenüberliegenden Wand eine sensationelle Symbiose eingeht, und wandere hinüber ins Wohnzimmer. Die Nudetöne der Möbel, Wände und Textilien kontrastieren mit dem strahlenden Weiß der Decken. Ich schaue durch das geöffnete Fenster auf die vor sich hin dösende Stadt. Fast scheint es, als habe sich die satte Spätsommer-Atmosphäre wie von selbst auf die Räume im Haus übertragen. Doch das täuscht, denn hier ist nichts dem Zufall überlassen. Alles, was wirkt, ist durchdacht und arrangiert, ohne dabei auch nur einen Augenblick gewollt zu wirken: Leder und Holz, die Farben rauchig und warm, die Formen klar und schlicht.
»Ich brauche ein ruhiges Ambiente. Das lässt mich runterkommen«, sagt Katja, deren Temperament ansteckend wirkt. Sie habe sich im ganzen Haus auf drei Farbnuancen beschränkt und trage auch am Körper nie mehr als zwei Farben auf einmal. In der Tat: Mit ihrem puristischen Outfit und dem perfekt gescheitelten Garçonschnitt scheint sie das Motto »weniger ist mehr« selbst zu verkörpern.
Das Farbkonzept für die Innenausstattung haben die Mombergs zusammen mit dem niederländischen Interieur-Designer Lou Huijs erarbeitet. »Je nachdem, wie das Licht draußen ist, verändert es die Räume«, sagt Katja Momberg. Ihr Mann weist auf die erdfarbene Tapete mit dem metallischen Schimmer. Kreiert hat sie Ulf Moritz für einen der weltweit führenden Traditionshersteller: die Marburger Tapetenfabrik. »Die Oberfläche changiert«, sagt Bernd Momberg.
»Die Farbe wirkt durch den Lichteinfall komplett anders als hinten in der schattigen Ecke.« Bernd Momberg weiß von Haus aus, was eine gute Tapete ausmacht.Kein Wunder, denn sein Großvater war Fachmann und Liebhaber zugleich und selbst Mitbegründer des Deutschen Tapetenmuseums. Nach dem Tod des Großvaters übernahm Bernds Vater das renommierte Teppich-und Tapetengeschäft Baur & Horn am Ständeplatz. Das Thema »Schönes Wohnen« scheint also seit Generationen stabil in der Familie verankert zu sein.
An Begeisterung für Details stehen sich die Mombergs in nichts nach, und auch die Liebe zu erstklassiger Qualität scheinen sie zu teilen: »Ich bin aus dem Showroom mit so vielen Musterbüchern zurückgekommen, dass diese nicht alle in meinen Kofferraum passten«, sagt Katja. Auch die Proben für den Stuck habe sie kofferweise kommen lassen. »Bevor sie es nicht gut findet, lässt sie nicht locker«, erklärt Bernd. »Bei den Lichtschaltern hat sie so lange überlegt, bis dem Elektriker fast der Kragen geplatzt ist, und für die Fenstergriffe ist sie drei Mal nach Amsterdam gefahren.« Bei Weijntjes, einem Spezialisten für Griffe, Schlösser und Knäufe, habe sie dann gefunden, was sie suchte. »Den Laden kenne ich inzwischen auswendig«, fällt Katja ihm ins Wort. »Der Mann ist die Entspanntheit in Person, den bringt nichts aus der Ruhe.« »Und die Frau ist vom Grundtyp einfach glücklich und hat Nerven wie Stahl.«
Ob das ihr Geheimnis sei, um neben den beiden Firmen und dem turbulenten Alltag mit Kindern auch noch das Projekt Traumhaus zu stemmen? »Ich bin ein zielstrebiger Typ und möchte jedes angefangene Projekt zum Erfolg bringen«, sagt Katja. »Manchmal sage ich mir allerdings: Wir müssen total doof sein, dass wir dieses Haus gekauft haben.« Bernd nickt. »Zumal wir von Tuten und Blasen keine Ahnung hatten. Da zahlt man viel Lehrgeld.«
Aber Abstriche machen, um schneller fertig zu werden, scheint keine Option zu sein. Und das, obwohl das Haus alles andere als Liebe auf den ersten Blick war. »Ich fand es grauenhaft«, erinnert sich Katja. »Die unzähligen Tapetenschichten kamen uns regelrecht entgegen, alles war modrig, schimmelig und feucht.« Aber dann habe es diesen magischen Moment gegeben. Das sagt sie ohne jegliches Pathos: »Ich stand am Fenster, da war es, als ob sich eine Hand auf meine Schulter legte und jemand mir sagte: Katja, das ist dein Haus.« Mia hält im Zeichnen inne: »In welchem Zimmer war das, Mama?«, fragt sie. »War das in meinem?«, ruft Mika. Katja lächelt geheimnisvoll. »Ich zeige es euch gleich.«
Wir gehen ins Treppenhaus. Die Stufen winden sich in breiten Kurven durch drei Etagen. »Die Treppe wollte ich eigentlich weiß lackieren lassen«, sagt Katja, »aber da haben wir zusammen mit dem Denkmalamt entschieden, dass der alte Naturton doch wunderbar in das neue Farbkonzept passt.« Ich fahre mit der Hand über das fein gemaserte Holz des Geländers. »Hier mussten ungelogen zwölf Schichten Lack ab«, erläutert Bernd. »Aber wir hatten eine fantastische Truppe von Stukkateuren und Restauratoren hier. Die haben gespachtelt und geschliffen, gespachtelt und geschliffen, unermüdlich.«
Je länger ich die Mombergs dabei beobachte, wie sie sich an gutem Handwerk ergötzen und über Farben, Materialien und Formen regelrecht in Verzückung verfallen, desto mehr erübrigt sich die Antwort auf meine Frage, was sie antreibt.
»Uns ist egal, ob etwas angesagt und hip ist oder von welchem Designer es stammt«, sagt Bernd. Wie zum Beispiel beim Sofa der Traditionsfirma Bretz. »Es muss bequem sein, es muss ausdrucksvoll sein, es muss zu uns passen. Bloß nix Steriles.« Und Katja ergänzt: »Nix Gelecktes.« Erstaunt über so viel Übereinstimmung frage ich nach, ob sie sich in Stilfragen auch mal uneinig seien. Aber so schnell, wie die beiden synchron mit den Köpfen schütteln, kann ich gar nicht gucken.
Katja führt uns vorbei an den liebevoll eingerichteten Kinderzimmern über eine schmale Treppe bis unters Dach. Wir stehen in einem blendend hellen Raum. An beiden Seiten der weiß gestrichenen Giebel eröffnen die großen Dachfenster einen spektakulären Blick über die Stadt. »Das ist nur für uns zwei«, sagt Bernd und zieht Katja an sich. »Den Raum nenne ich SweetLittle-Momberg«, sagt Katja. Ich öffne eines der Fenster und lehne mich weit hinaus: »Du sollst mir nit abstürzen«, ruft mir Katja zum zweiten Mal an diesem Tag zu. Diesmal in unverkennbarem Kasselänerisch. Alle lachen. »Ich bin eben Ur-Kasselänerin«, sagt Katja. »Genau wie ich«, sagt Bernd.
Vorbei an steinernen Engelsköpfen und fedrigen Engelsflügeln – »ich steh’ halt auf Engel« – führt Katja uns zurück in den Eingangsbereich. Das Treppenhaus habe sie einmal komplett umstreichen lassen. Die Farbe habe speckig gewirkt. Und an der Haustür angelangt erfahren wir, dass deren Schwarzton nicht wirklich schwarz sei, obwohl sie das ausdrücklich bestellt habe. »Das ist doch braun«, sagt sie zu ihrer Tochter Mia, die ihre Stupsnase an die Tür drückt, um die Farbe zu inspizieren. Ob braun oder schwarz kann zwar im Augenblick nicht abschließend geklärt werden, doch eines ist klar: Katja Momberg wird so lange nicht locker lassen, bis sie es gut findet.
Über die sandsteinerne Eingangstreppe läuft ein roter, ausgefranster Teppich an Schutt, Kies und aufgebaggerter Erde vorbei zur Straße. »Ah, der Postbote war hier«, sagt Katja und bückt sich nach einem Stapel Briefe. »Einen Briefkasten haben wir nämlich noch nicht.« Sie strahlt und spätestens jetzt ist klar, dass sie neben ihrer detailverliebten Versessenheit auch über ein gerüttelt Maß kasseläner Gelassenheit verfügt.
Autorin: Christin Bernhardt